Kategorien: Trends, Transformation, Organisationsentwicklung, Innovation Warum die deutsche Wirtschaft ihre Zukunft verspielt

Warum die deutsche Wirtschaft ihre Zukunft verspielt

Die deutsche Wirtschaft, insbesondere der viel zitierte „German Mittelstand“, genießt seit Jahrzehnten einen ausgezeichneten Ruf: Qualität, Präzision, Verlässlichkeit. Diese Attribute haben Deutschland zur führenden Exportnation gemacht und ein weltweit bewundertes Wirtschaftsmodell geschaffen. Doch während sich die Welt rasant verändert, scheint die deutsche Wirtschaft vielerorts im Hier und Jetzt zu verharren.

Die Perfektionierung des Status Quo

Ein Blick auf die Unternehmenslandschaft offenbart eine traurige Realität: Viele deutsche Unternehmen setzen weiterhin auf altbewährte Konzepte, Produkte und Geschäftsmodelle. Die Innovationskraft, die einst den Erfolg des Landes ausmachte, scheint erlahmt. Statt neue Wege zu gehen, wird vor allem daran festgehalten, das zu perfektionieren, was man bereits hat. Der deutsche Mittelstand wird oft als Symbol für Stabilität und Nachhaltigkeit gepriesen – doch was einst Stärke war, droht nun zur Schwäche zu werden.

Die globale Wirtschaftsarchitektur hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Die Digitalisierung hat neue Marktführer hervorgebracht, geopolitische Spannungen und der Klimawandel verändern Wertschöpfungsketten, der Ukrainekrieg und die Pandemie haben uns vor Augen geführt, wie fragil bestehende Strukturen sein können. Das starre Grundgerüst unserer Wirtschaft passt nicht mehr zur Unplanbarkeit der neuen Realität. Statt jedoch den Wandel zu umarmen, reagieren viele deutsche Unternehmen zögerlich, gar ablehnend – und beklagen sich gleichzeitig über die widrigen Rahmenbedingungen.

Politische und globale Rahmenbedingungen als Ausrede

Natürlich sind die Herausforderungen, denen die deutsche Wirtschaft gegenübersteht, nicht von der Hand zu weisen. Der Krieg in der Ukraine, steigende Energiepreise und Lohnkosten, der wachsende Einfluss Chinas, zunehmender Protektionismus, Handelskonflikte mit einstmals wichtigen Partnern, Lieferkettenprobleme – all das sind reale Probleme, die Unternehmen belasten. Doch anstatt sich diesen Herausforderungen zu stellen und kreative Auswege aus dem Dilemma zu entwickeln, wird sich auf die Benennung der Probleme fokussiert und in der politischen Debatte verharrt. Man wartet auf bessere Rahmenbedingungen, fordert staatliche Unterstützung und schiebt die Problemlösungsverantwortung nach außen ab.

Diese Haltung ist gefährlich. Denn sie verkennt die Tatsache, dass in Zeiten des Wandels Flexibilität und Innovationsgeist gefragt sind. Andere Länder haben gezeigt, dass man auch unter widrigen Umständen erfolgreich sein kann – wenn man bereit ist, sich anzupassen, neu zu denken und unkonventionelle Wege zu gehen.

Wo bleibt die Vision?

Was dem deutschen Mittelstand fehlt, sind Visionen. Wo sind die mutigen Unternehmerinnen und Unternehmer, die mit frischen Ideen neue Märkte erschließen oder sogar schaffen wollen? Wo sind die innovativen Geschäftsmodelle, die die Weichen für die Zukunft stellen? Und zwar nicht die reine Interpolation der Gegenwart in ein Zukunftsszenario, sondern wahrhaft inspirierende und neue Ideen. Während in anderen Ländern Start-ups mit disruptiven Technologien experimentieren und risikofreudig in die Zukunft investieren, dominieren hierzulande noch immer traditionelle Strukturen und Denkweisen. Und ja, bürokratische und politische Hürden in Deutschland sind nicht gerade förderlich, wenn es um die Realisierung neuer Ideen geht. Aber sie sind nicht das Ursprungsproblem.

Werfen wir einen Blick auf die Automobilindustrie, die nach wie vor das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist: Anstatt sich frühzeitig mit der Elektromobilität und alternativen Antrieben auseinanderzusetzen und darin nach Chancen zu suchen, wurde viel Zeit darauf verwendet, möglichst zahlreiche Argumente gegen die E-Mobilität zu finden und dezidiert aufzuzählen, warum sie nicht der Weg in die Zukunft sein könne. Jahrelang wurde akribisch an der Effizienzsteigerung herkömmlicher Verbrennungsmotoren weitergearbeitet. Grundsätzlich kein falscher Gedanke. Langfristig betrachtet aber voraussichtlich nicht die Zukunftstechnologie.

Das Ergebnis? Während deutsche Autobauer mühsam versuchten, den Anschluss zu finden, hatte Tesla bald den Markt erobert. Entgegen allen Unkenrufen und Gespött aus der deutschen Automobilwirtschaft. Inzwischen wurde auch Tesla überholt - der weltweit größte E-Autohersteller kommt aus China. Und Deutschland? Diskutiert und lamentiert.

Innovation braucht Mut

Es gibt sie, die innovativen Köpfe und kreativen Unternehmen in Deutschland. Doch sie müssen stärker gefördert werden. Es reicht nicht, stolz auf den „German Mittelstand“ zu sein und darauf zu hoffen, dass die alten Erfolgsrezepte in Zukunft weiter wirken werden. Werden sie nicht. Die deutsche Wirtschaft braucht eine Kultur des Muts und der Veränderung. Sie braucht Führungskräfte, die bereit sind – und denen es zugestanden wird – Risiken einzugehen, anstatt sich an bestehende Strukturen zu klammern.

Es muss nicht immer die große Disruption sein. Manchmal genügen auch kleine, schrittweise Innovationen. Doch die Bereitschaft, Neues auszuprobieren, muss vorhanden sein. Und das gilt nicht nur für die Unternehmen selbst, sondern auch für die Politik. Die Rahmenbedingungen, die oft beklagt werden, sollten nicht als Ausrede dienen, sondern als Anreiz, neue Modelle zu entwickeln und umzusetzen.

Fazit: Vom Bewahren zum Erneuern

Die deutsche Wirtschaft steht an einem Scheideweg. Sie kann weiter den Status Quo bewahren und riskieren, im globalen Wettbewerb abgehängt zu werden. Oder sie kann den Mut aufbringen, sich neu zu erfinden und innovative Wege zu gehen. Dafür braucht es eine neue Unternehmenskultur, die mehr auf Kreativität, Agilität und Vision setzt. Es wird Zeit, dass der Mittelstand nicht nur als Synonym für Tradition und Stabilität, sondern vor allem für Innovation und Zukunftsfähigkeit steht. Es gibt die Ideen! Wir müssen sie in den Unternehmen aber auch zulassen.