Hidden Champions in der Zeit des Fachkräftemangels

Henrique da Rosa
Gerade für hochinnovative Unternehmen in Marktnischen ist es nicht leicht, Talente zu finden und Leistungsträger zu binden, weiß Henrique da Rosa - und erörtert Ansätze, wie es doch gelingen kann.

Henrique da Rosa ist Strategie- und Organisationsberater im Team von trijen. Mit ihm sprechen wir darüber, was Hidden Champions tun können, um Arbeitskräfte zu gewinnen und binden.

Hören Sie das Interview in unserem triljen-Podcast:

 


Und hier das Interview (redigiert und gerkürzt) zum Nachlesen:

Joachim Schwichtenberg (triljen): Hallo Henrique, schön, dass du bei uns bist. Vielleicht magst du dich unseren Hörern erst einmal vorstellen?

Henrique da Rosa (triljen): Ja, sehr gerne. Henrique da Rosa, Organisations- und Strategieberater bei triljen. Seit fast drei Jahrzehnten im Geschäft, was das Thema Strategie betrifft. Ich berate vorwiegend Familienunternehmen. So wie es bei triljen gang und gäbe ist.

Unter diesen Familienunternehmen sind viele Hidden Champions, "heimliche" Marktführer, teilweise heimliche Weltmarktführer. Sie haben alle ein großes Thema: Fach- und Arbeitskräftemangel. Was genau versteht man denn unter einem Hidden Champion?

Hidden Champions besetzen oftmals eine Nische. Und diese Nische ist so speziell, dass sie für große Konzerne unattraktiv ist, weil da auch viel Innovation nötig wäre. Das heißt also, wir reden nicht ausschließlich, aber vielfach über B2B-Unternehmen. Wir sprechen über Unternehmen, die mindestens in den Top 3 in ihrer Region sind, also in Europa, häufig aber sogar Top 3 in der Welt und es handelt sich zum Teil um Unternehmen, die in ihrer Branche tatsächlich kaum zu ersetzen wären. Also wenn wir über Automation nachdenken, über Robotik zum Beispiel: Wenn die Firma Kuka morgen nicht mehr existieren würde, hätten viele Kunden ein ganz gravierendes Problem, weil diese Nische, die die Firma besetzt, so klein ist, dass da nicht weitere Anbieter auf den Bäumen wachsen. Und so wäre der Wegfall eines solchen Unternehmens ein großes Problem für deren Kunden. Aus unserem Beritt dürfte man da zum Beispiel die Firma Paul Köster nennen. Sondermaschinenbau. Wenn diese Firma morgen nicht mehr existieren würde, dann hätten viele Kunden aus dem Automotive-Bereich, aber auch aus dem Bereich Holz, Fassadenbau, Holztüren, Bauholz, Fensterbau Schwierigkeiten, ihre Fabrikation aufrechtzuerhalten oder zu modernisieren.


deutschsprachige Länder sind Domäne der Hidden Champions


Über wie viele Hidden Champions sprechen wir? Wie viele davon gibt es in Deutschland oder auch weltweit?

Deutschland ist tatsächlich gesegnet mit sehr vielen Hidden Champions. Wir sprechen von ungefähr 1600 in Deutschland. Das sind also meistens inhabergeführte Unternehmen, Familienunternehmen auch das ist ja schon gefallen. Wenn man dann in den DACH-Raum geht, also Österreich und die Schweiz mit einbezieht, die sind jeweils mit 170 oder180 sogenannten Hidden Champions vertreten. In Europa kommen wir auf round about 1850 Hidden Champions. Global sprechen wir aktuell von über 3400 Hidden Champions. Das heißt also, dass wir hier im deutschsprachigen Raum, wenn wir Schweiz und Österreich einrechnen, über die Hälfte dieser Unternehmen stellen. Und das ist umso bemerkenswerter, als diese Unternehmen meistens halt nicht in den Ballungszentren angesiedelt sind. Also in der Rhein-Main-Schiene zum Beispiel, in Frankfurt, Hamburg oder Berlin. Viele sitzen abseits der Ballungszentren, beispielsweise im Regionen wie dem Allgäu, dem Sauerland oder der Schwäbischen Alb.

Das Phänomen Hidden Championsist ja nichts Neues...

Ja, genau der Begriff kursiert schon seit den 80ern. Geprägt hat ihn Professor Simon. Das heißt also: Schon seit knapp 40 Jahren sind die Hidden Champions ein Begriff. Und ja, das war so was wie der Adelsschlag für diese Familienunternehmen, die seinerzeit und heute als Hidden Champions geführt werden. Wobei sich das auch ein bisschen verändert hat. Professor Simon hatte in den 80er-Jahren eine Obergrenze, was den Umsatz angeht, definiert. Die lag seinerzeit bei einer Milliarde Dollar. Nachdem die Globalisierung danach so richtig Fahrt aufgenommen hat und diese Unternehmen tatsächlich stark internationalisiert haben, stark in den globalen Märkte auch hineingegangen sind, nicht nur vertriebstechnisch, sondern auch zum Teil mit ihrer Produktion, liegt diese Grenze heute bei 5 Milliarden Euro. Dazu ist auch im Zusammenspiel der großen Währungen nicht mehr nur der Dollar, sondern auch der Euro. Und somit hat sich da natürlich auch, was die Rahmenbedingungen angeht, für diese Hidden Champions einiges verändert.

Sprechen wir über die aktuellen Herausforderungen, über den Fachkräftemangel, über den Arbeitskräftemangel. Was bedeutet das denn für die Hidden Champions, wenn diese weiter als Hidden Champions agieren wollen? Was bringt das für Chancen, was für Risiken mit sich?

Während Professor Simon Hidden Champions seinerzeit, in den 80ern, ausschließlich positiv definiert hat, ist es so, dass das Dasein als Hidden Champion heutzutage mit einigen Herausforderungen verbunden ist.

So laufen Hidden Champions Gefahr, im Kampf um Arbeitskräfte und nicht nur Fachkräfte, den Anschluss zu verlieren. Denn Hidden Champions leben sehr stark von Innovation. Das ist auch untersucht worden: Wie viel Patente sind charakteristisch für die Hidden Champions und für Konzerne oder Unternehmen, die nicht unter diese Kategorie fallen. Und da ist tatsächlich festgestellt worden, dass Hidden Champions viel, viel mehr Patente anmelden pro Jahr als es andere Unternehmen tun.
Das heißt: Sie sind abhängig davon, Innovation zu betreiben. Und das erhöht natürlich die Abhängigkeit, junge nachwachsende Fachkräfte für sich zu gewinnen. Und jetzt kann man sich vorstellen, wenn man die großen Namen ins Feld führt, die es in Deutschland natürlich daneben auch gibt. Da fällt gerne der Name BMW zum Beispiel oder andere Namen aus anderen Branchen wie Siemens, die bekannt sind, seit Generationen eigentlich "Household Brands" sind.

Diese haben es wesentlich einfacher, aufgrund ihrer Konzentration in Ballungszentren wie München Fachkräfte zu gewinnen. Wenn wir uns jetzt vorstellen, dass viele unserer Kunden im dünn besiedelten Sauerland sind und dort ihre Stammsitze haben, ist es viel schwieriger als unbekanntes Unternehmen, tatsächlich dort die Leute hin zu bewegen.
Das heißt, es reicht nicht mehr aus, nur bei der Belegschaft, bei den Führungskräften, die jetzt da sind, Identifikation zu schaffen mit dem Unternehmen, mit der eigenen Positionierung, mit der eigenen Vision und der Innovationskraft, die dazugehört.

Hidden Champions müssen aus meiner Sicht aufwachen und dazu beitragen, dass ihr Beitrag in ihrer Branche, in ihrer Nische bekannter wird, also zugänglich wird für nachwachsende Arbeits- und Führungskräfte. Und dann müssen sie auch überlegen, wie Sie Ihr Gesamtpaket attraktiver machen können. Also im Sinne eines Employer Brandings, was die Kommunikation bündelt, aber auch im Sinne der Benefits, die sie Fachkräften und Arbeitskräften bieten, weil da ein bisschen mehr nötig ist als es vielleicht bei BMW, SAP und anderen bekannten Unternehmen der Fall ist.

Und was hat sich in dieser Hinsicht getan bei den Hidden Champions? Ist da Bewegung zu sehen aus Deiner Sicht?

Zum Teil ja, zum Teil nein. Wir sehen es auch bei unseren eigenen Kunden. Also wenn man das Beispiel Melitta heranführt: Melitta Bentz hat vor über 100 Jahren den Kaffeefilter erfunden. Mittlerweile steht der Name Melitta aber für viel, viel mehr als nur Sortimente und Produkte, die mit Kaffee zu tun haben. Melitta ist auch kein reines B2B-Unternehmen, sondern Melitta ist als Konsumentenmarke sehr bekannt. Melitta hat als Unternehmen diversifiziert in andere Bereiche wie Haushaltsreinigung zum Beispiel. Und all das hat dazu geführt, dass Melitta im wahrsten Sinne des Wortes in Deutschland zu einem "Household Name" geworden ist, so dass man eigentlich nicht mehr groß erklären muss, was dieses Familienunternehmen - immer noch in Familienhand - so attraktiv macht.

Als Familienunternehmen steht diese Gattung der Unternehmen für eine sehr starke Werteorientierung in Richtung Innovation. Aber in diesem Fall, da gibt es weitere Beispiele, wie Jägermeister. Sie haben einen weltweiten Siegeszug angetreten und sie haben sicherlich nicht so große Mühe, Arbeitskräfte und Fachkräfte für sich zu gewinnen. Zumal sie eine klare Positionierung haben. All jene Hidden Champions, die einen sehr geringen Bekanntheitsgrad haben, dann vielleicht auch gerade in einer Lage sind, in der sie diversifizieren müssen, weil sie zum Beispiel bisher vorrangig als Automobillieferanten aktiv waren und jetzt befürchten müssen, dass mit dem Ende der Verbrenner-Ära auch ihre Zeit ein Stück weit endet. Die sind tatsächlich in einer Situation, in der sie an ihrer Bekanntheit arbeiten müssen, eine klare Positionierung entwickeln müssen, eine klare Vision: Wie überdauern diese Unternehmen diese Generation und die nächste Generation? Und das sind schon einige Punkte, die ich genannt habe, die zeigen, wie wir diesen Unternehmen helfen, ähnlich wie wir es bei Melitta bisher tun konnten. 


HÖCHSTE PRIORITÄT: ZuKUNFTSFÄHIGKEIT SICHERN


Wenn man sich anschaut, welche Optionen Hidden Champions an der Hand haben: Wie können sie unter den Bedingungen, die sie haben, ihre Leistungs- und ihre Innovationsfähigkeit sichern? 

Unserer Überzeugung nach sollte man tatsächlich im Inneren anfangen. Das heißt: Es sollte ein Employee Impact da sein, wo alle Arbeitnehmer, insbesondere die Führungskräfte und die zweite Führungsebene, Klarheit über die Strategie des Unternehmens haben.
Denn das gibt psychologisch gerade diesen Fachkräften und auch denjenigen, die erst zum Unternehmen stoßen sollen oder gewonnen werden sollen, ein hohes Maß an psychologischer Sicherheit: Wenn Klarheit darüber besteht, was die Vision des Unternehmens ist, wohin es strategisch geht.

Es gibt es Daten, die belegen, dass die Produktivität steigt, was wichtig ist, um den Fortbestand auch nachhaltig zu sichern. Mit dieser psychologischen Sicherheit im Hintergrund können die Mitarbeiter und Führungskräfte stärker gebunden werden, also in Zeiten des Arbeits und Fachkräftemangels nicht so leicht abgeworben werden. Was ja auch wichtig ist. Die Motivation steigt.
Wenn ich diese Basis im Inneren des Unternehmens habe, dann kann ich auch einen Impact erzielen auf potenzielle Kunden. Ich habe dann eine gute Grundlage, um eine Marketingstrategie aufzubauen, eine klar definierte, klar positionierte Marke. Ich habe beste Voraussetzungen, dann auch mit geringen Mitteln da eine Awareness zu erzielen, weil ich schnell wieder erkannt werde aufgrund meiner klaren Position. Und ich kann das glaubhaft widerspiegeln, was das Unternehmen bisher stark gemacht hat, weil das ist das, wo wir als erstes draufschauen.

Das heißt, wir kommen nicht von außen und stülpen da irgendwas drüber, was nicht vorhanden ist, sondern wir bauen auf die Stärken der Unternehmen, die wir über Research, über unsere Workshops herausarbeiten, quasi aus den Gesprächen mit diesen Unternehmen. Und können dann halt nicht nur im Sinne eines Employer Impacts, sondern auch im Sinne eines Customer Impacts die Marke aufladen.
Am Ende dieses Prozesses steht auch ein Cultural Impact. Das heißt also, wir entwickeln eine Kultur mit unseren Kunden zusammen, die dazu beiträgt, dass die Werte weiterbestehen, die die Unternehmen bislang getragen haben, dass sie klar verständlich sind und dass sie die Kultur prägen, das Miteinander prägen.

Auch das strahlt dann wieder zurück darauf, dass die Menschen gerne da sind, sich mit dem Unternehmen identifizieren und gerne da bleiben. Und das wiederum strahlt natürlich auch auf den Arbeitsmarkt aus. Idealerweise. Auch da gilt es dann, die Arbeitgebermarke zu definieren, auf Basis derselben Vision, auf Basis derselben Werte. Und wenn man dann einen Strich drunter zieht, ist es ein Maßnahmengeflecht, das wir anstoßen. Dann stimmt auch der Financial Impact. Das heißt also, dass diese Unternehmen eine sehr gute Grundlage haben oder wiederfinden, um finanziell gesund weiter Innovation betreiben zu können und weiter zu wachsen.

Das Thema war spannend für Sie? Dann ist vielleicht auch unser Wegweiser zum Generationenwechsel im Unternehmen für Sie spannend.

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